
Als das Böse kam entführt seine Hörer:innen bereits mit den ersten Momenten in eine Welt, in der scheinbare Geborgenheit und aufkeimende Furcht untrennbar miteinander verschmelzen. Noch bevor die Blockhütte auf der einsamen Insel im Fokus steht, spürt man die feine Härte der salzigen Meeresbrise, die sich in langgezogenen Pfeiftönen um die kahlen Felsen windet. Die Szenerie wirkt idyllisch: Morgendliches Vogelgezwitscher, gedämpftes Klappern von Geschirr, ein Kinderlachen, das fast zu vertraut klingt, um nicht bald in den Schatten eines behutsam gesetzten Donnerschlags zu treten. Doch hinter dieser fast schmerzhaft realistischen Kulisse verbirgt sich mehr als rustikale Romantik – es ist ein Versteck, dessen Mauern nicht vor dem äußeren, sondern vor dem inneren Schrecken schützen sollen. Die Ruhe, die auf den ersten Blick Heilung verspricht, erweist sich rasch als trügerischer Mantel, unter dem längst begrabene Schuldgefühle und die Ahnung drohender Rache lauern. Bereits im Auftakt entfaltet sich ein Spannungsgeflecht aus familiären Bindungen, geheimnisvollen Andeutungen und Andeutungen auf dunkle Vergangenheiten, dass die Hörspielproduktion zu Beginn unvergleichlich dicht und stets ein wenig atemlos wirken lässt – ein Versprechen auf nervenaufreibende Stunden voller Atmosphären, moralischer Widersprüche und unvorhersehbarer Wendungen.
Exposition und Schauplatz
Zu Beginn lernen wir eine scheinbar heile Familie kennen, die abgeschieden auf einer dicht bewaldeten Insel lebt. Mutter, Vater und ihre beiden heranwachsenden Kinder haben sich in einer rustikalen Blockhütte eingerichtet, fernab jeglicher Zivilisation. Die 16‑jährige Juno und ihr jüngerer Bruder Boy verbringen den Vormittag mit Fischfang am Ufer, bereiten am Nachmittag gemeinsam Kuchen zu und vertreiben sich die Abende mit Gesellschaftsspielen wie Risiko. Die natürliche Umgebung, das Rauschen des Windes in den Bäumen und das sanfte Plätschern der Wellen vermitteln eine heile Welt – doch diese Idylle entpuppt sich bald als Trugbild. Fremde Spuren am Ufer und gelegentliche, nicht eindeutig lokalisierbare Geräusche in der Nacht kündigen an, dass diese Ruhe trügt. Die Vorstellung, die Familie könne hier sicher vor der Außenwelt sein, zerbricht Stück für Stück, als ungebetene Mächte drohend näherrücken.
Die Hauptfiguren
Im Zentrum der Erzählung stehen Juno, ihr jüngerer Bruder Boy und ihre Eltern, deren Beziehungen ineinander verschlungen und von unterschwelliger Spannung geprägt sind. Juno wirkt anfangs unbeschwert und neugierig, doch hinter ihrer lebhaften Neugier verbirgt sich die aufkeimende Furcht vor dem drohenden Unheil. Ihr Bruder nimmt die Nachstellungen der Fremden still wahr, ohne die Tragweite zu verstehen, wird jedoch zum unfreien Beobachter eines Spiels, dessen Regeln er nicht kennt. Der Vater, eine tragische Figur voller Widersprüche, vereint Fürsorge und tiefe Schuldgefühle in sich: Die Rache, die nun an seine Familie herangetragen wird, resultiert aus einem Verbrechen, das er Jahre zuvor beging. Die Mutter gibt Halt und Schutz, zugleich kämpft sie mit wachsendem Misstrauen gegenüber allen, die nicht zur Familie gehören. Ihre gemeinsame Isolation provoziert, dass Misstrauen und Paranoia schneller schwelen als jede Form von Solidarität.
Dramaturgischer Aufbau
Ivar Leon Menger setzt auf einen achtteiligen Spannungsbogen, um die Handlung zu strukturieren. In der ersten Phase steht die Vorstellung des Familiendaseins im Mittelpunkt: Alltägliche Abläufe und Rituale wirken vertraut und beruhigend. Im zweiten Teil sorgen kleine, fremdartige Details wie Fußspuren im Sand oder flüchtige Silhouetten am Horizont für erste Unruhe. Darauf folgen unfassbare nächtliche Eindrücke und Funksignale, die aus der Ferne dringen, bevor szenische Rückblenden das frühere Verbrechen des Vaters offenbaren und den Grundstein für die bedrohliche Stimmung legen. Mit jeder weiteren Episode steigert sich die Paranoia: Familienmitglieder zweifeln aneinander, während die Fremden ihren Plan Schritt für Schritt konkretisieren. In der siebten Folge findet die Familie Zuflucht in einem geheimen Schutzraum unter der Hütte, doch die vermeintliche Sicherheit wird zur Falle. Im finalen achten Teil kulminiert die Spannung in einem dramatischen Showdown, in dem Entscheidungen über Leben und Tod und moralische Fragen gleichermaßen auf dem Spiel stehen.

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Nichts für schwache Nerven!Sounddesign und Atmosphärische Gestaltung
Ein herausragendes Merkmal des Hörspiels ist das Dolby Atmos‑Sounddesign, das eine räumliche Klangwelt erzeugt, die über herkömmliche Stereo-Produktionen weit hinausgeht. Tropfendes Wasser, das erst leise und dann immer drängender erklingt, knarrende Dielenbretter unter den Füßen der Protagonisten, der Wind, der zwischen den Bäumen pfeift – all diese Elemente fügen sich zu einem lebendigen akustischen Panoptikum. Die Geräusche dienen nicht nur der Ortsbeschreibung, sondern transportieren unmittelbar die emotionale Verfassung der Figuren: Beklemmung schleicht sich in Form zurückhaltender, an- und abschwellender Hintergrundgeräusche ein, während entfernte Rufe und unklare Klänge die verzweifelte Isolation betonen. Plötzliche, schmetternde Klangeinschübe versetzen die Hörer:innen wie spontane Schocks in Alarmbereitschaft und verdeutlichen so die permanente Gefahr.
Themen und Motive
Im Kern des Hörspiels steht die Frage nach Schuld und Sühne. Der Vater trägt eine Tat aus der Vergangenheit mit sich, die er für begraben hielt, bis diese Tat in Form der Rache der Fremden wieder auftaucht. Die Erzählung untersucht, ob und wie es Vergebung für schwerwiegende Verfehlungen geben kann, wenn die Opfer nicht mehr zu Wort kommen. Zugleich schildert das Hörspiel, wie Vertrauen in Extremsituationen zerbricht: Isolation, die zunächst als Schutz erscheint, wird zur psychologischen Zelle, in der selbst die engsten Familienbande ins Wanken geraten. Ein weiteres zentrales Motiv ist die Verantwortungsübernahme von Kindern: Juno und ihr Bruder stehen vor Entscheidungen, die ihren kindlichen Horizont überschreiten, und müssen sich zwischen Gehorsam gegenüber den Eltern und Selbstschutz entscheiden. Die Inszenierung von Einsamkeit und Abgeschiedenheit thematisiert dabei, wie Schutzräume zu Gefängnissen werden und die Frage aufwirft, ob Flucht überhaupt noch möglich ist.
Sprecher:innen und Performances
Das hochkarätige Ensemble um Benno Fürmann, Emily Kusche, Luise Wolfram, Maria Koschny, Michelangelo Fortuzzi und Mika Hinz verleiht jeder Figur eigene Nuancen. Benno Fürmann schöpft aus seinem schauspielerischen Repertoire, um dem Vater Autorität und gleichzeitig tiefe Verzweiflung einzuhauchen. Emily Kusche vermittelt in der Rolle der Mutter mit leisen Pausen und zittriger Stimme das Ringen zwischen Fürsorge und Angst. Luise Wolfram gelingt es, Junos Unbeschwertheit und die Vorahnung von Grauen gleichermaßen hörbar zu machen. Maria Koschny, Michelangelo Fortuzzi und Mika Hinz nehmen kleinere Rollen ein, tragen jedoch mit präziser Artikulation und stimmlicher Präsenz zur dichten Atmosphäre bei. Die Regie setzt Pausen und schwere Atemzüge gezielt als dramaturgische Mittel ein, sodass das Timing der Dialoge und des Sounddesigns perfekt aufeinander abgestimmt ist.
Vergleich mit anderen Werken
Als das Böse kam reiht sich ein in eine Tradition nordisch geprägter Psychothriller, wie man sie bei Ragnar Jonasson oder Jens Henrik Jensen findet. Anders als die eher nüchternen Kriminalfälle dort, legt Menger den Fokus stärker auf familiäre Dynamiken und die Frage nach moralischer Verantwortlichkeit. Ähnlichkeiten zu Produktionen wie Monster 1983 oder Ghostbox sind in der Nutzung klaustrophobischer Settings und surrealer Klangwelten erkennbar, doch Menger bettet die Thrillerelemente in eine sehr persönliche Geschichte ein. Wer Romy Hausmanns Roman Loverboy oder Jan Becks Hörspieladaptionen schätzt, wird den psychologischen Tiefgang und die intensive Inszenierung ebenso befürworten.
Fazit
Als das Böse kam demonstriert eindrucksvoll, wie modernes Hörspiel-Storytelling aussehen kann: Ein packender Plot, tiefgründige Figuren, herausragende Sprecher:innen und ein innovatives Sounddesign verschmelzen zu einem immersiven Hörerlebnis. Es ist ein Hörspiel, das nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt: Über Schuld, Vergebung und die Zerbrechlichkeit menschlicher Bindungen. Für alle, die psychologische Thriller lieben und akustische Klangwelten in neuer Dimension erleben möchten, ist dieses Werk uneingeschränkt zu empfehlen.
Als das Böse kam
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