
Ein akustischer Abstieg in den kosmischen Wahnsinn
In einer Zeit, in der Horror-Hörspiele sich häufig auf altbekannte Muster stützen oder bekannte Schauplätze neu interpretieren, setzt Cthulhucalypse – Erwachen einen erfrischenden Akzent: Es vereint einen klassischen Krimi-Thriller mit kosmischem Grauen im Stil H. P. Lovecrafts, verlegt in das pulsierende London der Gegenwart. In dieser ersten Folge einer sechs Teile umfassenden Miniserie von Holysoft geraten wir als Zuhörer unmittelbar in eine verstörende Mordserie, die jedoch weit mehr ist als ein Kriminalfall – sie ist der Auftakt zu einer verhängnisvollen Enthüllung, die die Welt, wie wir sie kennen, bedroht. Unter der Regie von Dirk Jürgensen, mit skriptlicher Handschrift von Christian Gailus und einem starken Ensemble, erschafft das Hörspiel ein dichtes Spannungsgeflecht, das psychologisch packt und akustisch beklemmt.
Handlung und Figuren
Die Erzählung setzt in London ein, wo eine grausame Mordserie die Bevölkerung in Angst versetzt. Der Täter, in den Medien als der Schlächter tituliert, hinterlässt seine Opfer in einem Zustand, der faire Kriminalmethoden übersteigt – ohne Arme, Beine und Zunge, und scheinbar ohne nachvollziehbares Motiv. Scotland Yards Chief Inspector Alice Core, gesprochen von Vanessa Diana Wirth, nimmt sofort Ungewöhnliches wahr. Sie ist fest davon überzeugt, dass es sich nicht um das Werk eines psychisch gestörten Einzeltäters handelt – doch ihre Vorgesetzten reagieren zurückhaltend, was ihre Ermittlungen ins Unbekannte weiter beschleunigt.
Im Verlauf der rund 47 Minuten langen ersten Folge geht es den Protagonist:innen nicht nur darum, einen grausamen Mörder zu stoppen, sondern den Initialschlag für eine Bedrohung zu begreifen, die über London hinausweist. Die offene Andeutung weiterer, welterschütternder Ereignisse im Klappentext bereitet die Hörer:innen darauf vor, dass mehr hinter dem Serienmord steckt als menschliche Gewalt – es gibt Hinweise auf übernatürliche Macht und Kult hinter der Tat.
Inszenierung & Sounddesign
Was Erwachen akustisch auszeichnet, ist das dichte, atmosphärische Sounddesign. Unter der Leitung von Sounddesigner Eugen Schott entsteht eine Klangwelt, die nicht nur Kulisse ist – sie ist aktiver Teil der Erzählung. Die Geräuschkulisse wechselt zwischen urbanem Alltagslärm (Verkehr, Schritte, Bürogemurmel) und verhalltem Horror. Sobald Ermittler Alice einem weiteren Opferort näherkommt, mischen sich verzerrte Töne, Flüstern in Hallräumen und pulsierende Drones mit den Dialogen . Diese nahtlose Umsetzung zwischen Realität und unterschwelliger Bedrohung erzeugt ein Gefühl der Beklemmung, das sich durch die gesamte Episode zieht.
Auch die Musik setzt subtile aber wirkungsvolle Akzente: Sie verstärkt Szenen, ohne melodisch zu dominieren – sie wirkt wie ein psycho-akustisches Echo der Taten, die gerade erzählt oder angedeutet werden. An dieser Stelle zeigt sich eine hohe Qualitätsarbeit im Hörspiel-Konzept: Jeder Effekt, jede Pause, jedes Flüstern ist bewusst platziert, um den Spannungsaufbau zu unterstützen. Das Ergebnis ist ein Soundbild, das wirklich atmosphärisch dicht – und gleichzeitig auf Horror ohne Jumpscares setzt.
Cast & Charaktere
Das Ensemble überzeugt durch stimmliche Differenzierung und lebendige Darstellung. Neben Alice Core (Vanessa Diana Wirth) finden sich im Sprecherkreis:
- Holger Mahlich als Brody
- Nico Birnbaum als Stuart
- Konrad Bösherz als Gabriel
- Frank Schaff als Delby
- Hubertus von Lerchenfeld als Frank
- Dazu weitere Stimmen wie Achim Buch, Norman Matt, Stefan Senf, Patrick Roche, Victoria Sturm und Jürgen Holdorf.
Besonders gelobt wird die Performance von Vanessa Diana Wirth: Ihre Alice klingt unverbraucht, glaubwürdig, klar im Ausdruck – eine erfrischende Stimme für eine junge Ermittlerin, in deren Kopf zunehmend Zweifel und Unbehagen wachsen . Auch die männlichen Nebenrollen fügen sich gut in das dramaturgische Geflecht ein und verleihen der Szene – ob kurz oder dauerhaft – Tiefe. Der ausgewogene Mix an Stimmen sorgt dafür, dass die kriminalistische Handlung ebenso funktioniert wie der Übergang zum unheimlich Übernatürlichen.
Genre-Mix und Lovecraft-Anbindung
Erwachen verhandelt geschickt zwei narrative Ebenen: Einmal die Kriminalgeschichte rund um Scotland Yard und London – Ermittlungen, Tatortarbeit, Befragungen; dann die kosmisch-horrorspezifische Dimension, die sich nur in Andeutungen zeigt. Dieser Dualismus erzeugt einen Sog, bei dem Zuhörer:innen von rationalem Denken in eine, in sich zerbrechende Welt gelenkt werden.
Während in Folge 1 das Übernatürliche noch nur angedeutet wird, bleibt es doch stets präsent – es riecht nach Kult, nach brechenden Naturgesetzen, nach einem Muster, das Menschen nicht zu fassen imstande sind. Man wird geradezu in einen Sog geführt, der sich auf eine größere Serie vorbereitet, in der Genlabore, Mutationen und globaler Kult eine Rolle spielen werden . Das mag sich zwar im Stil traditioneller Lovecraft-Adaptionen anfühlen, erhält aber durch den modernen Setting-Anstrich und die kriminalistische Schiene eine ganz eigene Identität.
Folgekontext & Ausblick
Erwachen ist der Auftakt einer sechs Folgen umfassenden Miniserie, die modular aufgebaut ist:
- Erwachen – Mordserie in London, der Schlüssel zum tödlichen Ritual
- Die Bestie – Ermittlungen führen in Genlabore von TransCorp
- Spuren – Vertuschungen und Mutationen tauchen auf
- Dämmerung – Rückkehr nach England, Erpressung, Gefangenschaft
- Zwielicht – Kultkonflikt, globale Eskalation
- Nacht – Finale mit finalem Showdown, möglicherweise Antichrist-Motiv und Cthulhu-Apokalypse.
Diese episodische Struktur sorgt für einen fortlaufenden Spannungsbogen – was ideal für Streaming-Abende ist. Die Folgen dauern jeweils zwischen 44 und 59 Minuten und erschein(t)en im Wochenrhythmus ab April bis Juni 2023 auf Plattformen wie Audible, Google Play, Storytel oder Spotify .
Stärken und Schwächen
Stärken
- Atmosphäre: Extrem dichtes Sounddesign, stimmige Klangwelt, psychedelische Übergänge
- Mix von Genres: Krimi und Mythos verschmelzen organisch
- Sprecherriege: Unaufdringlich, überzeugend und für Hörspielverhältnisse stark
- Episodenkonzept: Rasantes Tempo, Cliffhanger als Anreiz zum Weiterlesen
Schwächen
- Cliffhanger: Einige Hörer:innen berichten, dass das Ende zu abrupt wirkt
- Lovecraft-Elemente: Noch sehr subtil – erste Folge bleibt auf Krimi Niveau
- Charakterausbau: Kurzformat bietet wenig Raum für tiefgehende Entwicklung in Folge 1
Fazit
Cthulhucalypse – Erwachen ist ein gelungener Serienauftakt, der als Hörspielkonzept sehr bewusst spielt: Ein realistisch atmender Krimi, der immer wieder bricht, verzerrt wird durch kosmisches Grauen – ohne je plakativ zu werden. Mit knapp 47 Minuten Spieldauer ist die Folge kurz genug, um sie an einem Stück zu hören, aber intensiv genug, um im Gedächtnis zu bleiben.
Fans guter Produktionen und moderner Hörspielästhetik werden hier viel finden: eindrucksvolles Sounddesign, starke Sprecher:innen, überzeugende Handlung und genug Andeutungen, um in den weiteren Folgen einzutauchen. Wer bereit ist für das düstere Spiel zwischen Realität und Wahn, für den ist Erwachen ein vielversprechender Einstieg in eine Serie, die mit jeder Folge weiter eskaliert.
Cthulhucalypse – Erwachen
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- Label / Verlag: Holysoft
- Veröffentlicht:
- Genre: Horror / Grusel
- Herkunft: Deutschland
Produktion
- Produktion: David Holy
- Skript: Christian Gailus
- Regie: Dirk Jürgensen
- Sounddesign: Eugen Schott
Sprecher
- Alice Vanessa – Diana Wirth
- Brody – Holger Mahlich
- Stuart – Nico Birnbaum
- Gabriel – Konrad Bösherz
- Delby – Frank Schaff
- Frank – Hubertus von Lerchenfeld
- Zollbeamter – Achim Buch
- Ruben – Norman Matt
- Feinstein – Stefan Senf
- Carter – Patrick Roche
- Cathy – Victoria Sturm
- Hafenmeister – Marko Bräutigam
- Journalist 1 – Robert Frank
- King – Frank Schröder
- Journalist 2 – Maria Adriana Albu
- Nachrichtensprecher – Marion Musiol
- Scarborough – Jürgen Holdorf
