
Ein Hörspiel über Ehre, Schuld und den Mut zur Freiheit
Das Hörspiel Arzu, produziert von Wolfy Office unter der Regie von Milena Aboyan und dem Skript von Sirius Kestel, ist mehr als ein dramatisches Hörspiel – es ist ein gesellschaftliches Statement. Veröffentlicht im Jahr 2020 und vielfach ausgezeichnet, darunter als Hörspiel des Jahres 2020 durch die Community von Hoerspieltalk.de, beruht es auf einem erschütternden realen Fall: dem sogenannten Ehrenmord an Arzu Özmen. Mit bedrückender Intensität und eindringlicher Authentizität wird hier ein tragisches Kapitel deutscher Migrations- und Familiengeschichte hörbar gemacht.
Der Fall Arzu Özmen – Der wahre Hintergrund
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Arzu, eine junge Frau, die sich aus den Fesseln ihrer streng patriarchalischen Familie lösen will. Sie verliebt sich in einen Deutschen, zieht zu ihm und beginnt, ein freieres, selbstbestimmtes Leben zu führen. Doch dieser Schritt bringt sie in Lebensgefahr. Ihre Familie, insbesondere ihre Brüder, sehen ihr Verhalten als Schande. In ihren Augen hat Arzu die Ehre der Familie beschmutzt – ein Vorwurf, der in manchen traditionellen Milieus gravierende Konsequenzen haben kann.
Am 1. November 2011 wurde Arzu von ihren Brüdern aus der Wohnung ihres Freundes in Detmold entführt. Zwei Tage später wurde sie erschossen und verscharrt. Der Fall ging bundesweit durch die Medien. Die Täter – ihre Brüder und Schwester – wurden später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Inhalt des Hörspiels – Ein Drama auf engstem Raum
Das Hörspiel Arzu setzt genau an diesem Moment an: der Entführung. Die Handlung spielt überwiegend während der Autofahrt, in der Arzu von ihren Brüdern weggebracht wird. Innerhalb dieser beengten und hoch angespannten Situation entfaltet sich ein Kammerspiel, das unter die Haut geht. Die Dialoge sind intensiv, emotional aufgeladen und konfrontativ. Arzu kämpft mit Worten um ihr Leben, appelliert an die Menschlichkeit ihrer Brüder, versucht zu fliehen, zu verhandeln, zu überleben.
Diese dramatische Fahrt wird zum psychologischen Minenfeld, in dem Themen wie Ehre, Schuld, Familientraditionen und persönliche Freiheit miteinander ringen. Besonders beeindruckend ist, wie das Hörspiel es schafft, ohne moralischen Zeigefinger auszukommen, aber dennoch eine klare Haltung gegen patriarchale Gewalt und religiösen Fanatismus bezieht. Die emotionale Wucht entsteht durch die realitätsnahe Inszenierung und die kraftvollen Stimmen der Sprecher:innen.
Gesellschaftliche Relevanz – Warum dieses Hörspiel so wichtig ist
Arzu ist kein einfacher Krimi oder ein reines Drama zur Unterhaltung. Es ist ein aufklärerisches Werk, das auf Missstände hinweist, die auch heute – mehr als ein Jahrzehnt nach dem Mord – weiterhin existieren. Das Hörspiel richtet sich nicht nur an Hörer:innen, die sich für packende Geschichten interessieren, sondern auch an all jene, die sich mit den Themen Integration, Migration, Frauenrechte und interkulturelle Konflikte auseinandersetzen.
In vielen Communities sind patriarchale Strukturen und das Konzept der Familienehre noch tief verankert. Junge Frauen, die ein freies Leben führen wollen, geraten dadurch in tödliche Gefahr. Arzu macht diese Realität greifbar – emotional, sprachlich und dramaturgisch überzeugend. Es geht nicht um Schuldzuweisungen an eine bestimmte Religion oder Herkunft, sondern um Strukturen, die Gewalt und Unterdrückung ermöglichen.
Sprecher:innen und Inszenierung – Kraftvolle Stimmen gegen das Schweigen
Das Hörspiel lebt von der Intensität seiner Sprecher:innen. Die Rolle der Arzu wird mit großer Authentizität und emotionaler Tiefe von Rana Farahani gesprochen. Man hört den Zwiespalt, die Angst, aber auch die Stärke einer jungen Frau, die nicht bereit ist, sich brechen zu lassen. Die Brüder, emotional zerrissen zwischen familiärer Loyalität, Stolz und Gewissensbissen, sind ebenso differenziert dargestellt. Niemand wird hier zu einer eindimensionalen Figur degradiert – alle Charaktere sind glaubwürdig gezeichnet, was die Tragik der Geschichte nur noch verstärkt.
Die Regie verzichtet auf unnötige Effekte. Stattdessen liegt der Fokus auf Sprache, Klang und Atmosphäre. Das Motorengeräusch des Autos, das Ticken der Uhr, das Atmen – all das wirkt beklemmend real. Der Hörer wird Teil dieser Fahrt in den Abgrund, kann nicht aussteigen, nicht weghören.
Staatliche Förderung – Unterstützung für ein notwendiges Thema
Die Produktion von Arzu wurde durch das Bundesprogramm Demokratie leben!, ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, unterstützt. Dieses 2014 ins Leben gerufene Programm setzt sich für demokratische Werte ein und fördert gezielt Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, Gewalt und jede Form von Menschenfeindlichkeit engagieren. Die Förderung ermöglichte es, das Projekt professionell umzusetzen und einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Gerade im Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz des Themas ist diese Förderung ein bedeutendes Zeichen. Es zeigt, dass politische Bildung und kulturelle Aufarbeitung Hand in Hand gehen können – und müssen.

Pädagogische Einordnung – Ein Hörspiel für Bildung und Aufklärung
Arzu eignet sich auch für den Einsatz in Schulen, Bildungseinrichtungen und Integrationsprojekten. Es bietet Gesprächsstoff für Diskussionen über kulturelle Werte, die Rolle der Frau, individuelle Freiheit und gesellschaftliche Verantwortung. Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und Pädagog:innen können das Hörspiel als Einstieg nutzen, um Jugendliche für Themen wie Gewaltprävention, Gleichberechtigung und Menschenrechte zu sensibilisieren.
Auch für junge Menschen mit Migrationshintergrund kann dieses Hörspiel eine Identifikationsfläche bieten – nicht in Form von Angst, sondern als Beispiel für die Notwendigkeit, Konflikte offen zu benennen und ein Leben in Selbstbestimmung zu ermöglichen.
Rezeption – Eine Produktion, die Spuren hinterlässt
Die Reaktionen auf das Hörspiel waren durchweg positiv. In Hörspielforen und Rezensionen wird Arzu für seine kompromisslose Darstellung gelobt. Viele Hörer:innen berichten von Gänsehautmomenten, Tränen, Sprachlosigkeit. Es ist kein Hörspiel, das man einfach nebenbei konsumiert – es verlangt Aufmerksamkeit, setzt Emotionen frei und bleibt im Gedächtnis.
Die Auszeichnung als Hörspiel des Jahres 2020 durch die Hörspielcommunity ist nicht nur ein Zeichen der Qualität, sondern auch des Mutes, sich an solch ein schwieriges Thema heranzuwagen.
Ein Hörspiel, das gehört werden muss
Arzu ist keine leichte Kost – und das soll es auch nicht sein. Es ist ein akustisches Mahnmal gegen patriarchale Gewalt und ein Plädoyer für Selbstbestimmung, Menschenrechte und die Kraft der Sprache. Es erinnert uns daran, dass hinter jeder Schlagzeile ein Mensch steht, mit Träumen, Ängsten und Hoffnungen.
Durch die sorgfältige Inszenierung, die exzellenten Sprecher:innen und die gesellschaftliche Brisanz ist Arzu weit mehr als ein Hörspiel – es ist ein kulturelles Dokument, das aufrüttelt und bewegt.
Arzu
* Affiliate-Link: Wenn du über diesen Link einkaufst, erhalten wir eine kleine Provision. Für dich ändert sich nichts am Preis.
- Label / Verlag: Wolfy-Office
- Veröffentlicht:
- Genre: Drama
- Herkunft: Deutschland
- Autorin / Regisseurin: Milena Aboyan
- Produzent / Tonmeister / Sounddesigner: Sirius Kestel
- Geräuschsynchronartistin: Johanna Roth
- Komponistin: Victoria Hillestad
- Lektorin: Sabine Stubner
- Cover-Illustratorin: Julia Skala
- Cover-Layouter: Paul Blechschmidt
- Aufnahmelogistiker: Jakob Heuberger
Sprecher
- Arzu – Rana Farahani
- Osman – Hasan H. Tasgin
- Shirin – Suri Abbassi
- Kirir – Doguhan Kabadayi
- Alex – Boris Keil
- Autofahrer – Damjan Batistic
- Arzus Mutter – Pervin Akyildiz
- Junge Arzu – Sury Arndt
- Erzählerin – An Kuohn
- Ansage – Marc Schülert

