
Mit The Human Frontier veröffentlichte das britische Hörspiellabel Big Finish 2020 eine Science-Fiction-Serie, die sich durch eine originelle Prämisse, vielschichtige Figuren und eine dichte Klangatmosphäre auszeichnet. Als Teil der Reihe Big Finish Originals ist das Werk kein Spin-off eines bestehenden Franchises, sondern eine eigenständige, in sich geschlossene Geschichte – geschrieben und inszeniert von Nicholas Briggs, der vielen als Stimme der Daleks aus Doctor Who bekannt ist. Die Serie besteht aus vier einstündigen Episoden und beschäftigt sich mit Fragen rund um kulturellen Zusammenprall, technologischem Fortschritt, Identität und Macht.
Zwei Menschheiten, ein Planet
Im Zentrum der Handlung steht ein auf den ersten Blick klassisches Science-Fiction-Szenario: Die Menschheit hat begonnen, das All zu besiedeln. Zwei verschiedene Gruppen brechen zu unterschiedlichen Zeiten in Richtung eines fernen Planeten namens ND492 auf. Die erste Expedition, an Bord des Raumschiffs The Human Frontier, wird mit Hilfe von Kälteschlaftechnologie auf eine 1.000-jährige Reise geschickt. Ihre Aufgabe ist es, auf ND492 die Saat der Menschheit neu auszusäen. Als sie ankommen, stellen sie jedoch fest, dass sie nicht die ersten sind: Eine spätere Expedition, die mit Überlichtgeschwindigkeit gereist ist, lebt dort bereits seit über 300 Jahren. So kommt es zur Konfrontation zweier Kulturen, die aus demselben Ursprung hervorgingen, sich aber unabhängig voneinander entwickelt haben.
Kultureller Zusammenprall und das Wesen des Menschseins
Der thematische Kern von The Human Frontier liegt in der Auseinandersetzung mit kultureller Divergenz und dem Versuch, eine gemeinsame Identität wiederzufinden. Die Crew der Human Frontier bringt Werte wie Entdeckergeist, Freiheit und menschliche Autonomie mit – Ideale aus einer vergangenen Ära. Die Bewohner des Planeten hingegen haben eine technokratische Gesellschaft aufgebaut, in der künstliche Intelligenzen und algorithmische Entscheidungen eine zentrale Rolle spielen. Besonders die KI Nilly, die ursprünglich nur als Assistenzsystem diente, entwickelt im Verlauf der Handlung ein bemerkenswertes Maß an Eigenständigkeit – eine der vielen Reflexionen des Hörspiels über das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine.
Figuren mit Tiefe und Konfliktpotenzial
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Hauptfiguren: Anna Swift, eine Exographin aus dem Team der Human Frontier, Kommandantin Daisy Bailey, die mit inneren und äußeren Konflikten zu kämpfen hat, und die bereits erwähnte KI Nilly. Anna, gespielt von Pepter Lunkuse, ist neugierig, empathisch und stellt sich die entscheidenden Fragen über Identität und Zugehörigkeit. Daisy (Genevieve Gaunt) ist ein komplexer Charakter, zerrissen zwischen dem Wunsch nach Ordnung und dem Drang, das Richtige zu tun. Die KI Nilly, gesprochen von Lucy Briggs-Owen, durchläuft eine eigene Entwicklung und bringt mit ihrer wachsenden Autonomie neue moralische Dilemmata ins Spiel.
Der politische Führer der Kolonie, Brett Triton (Clive Wood), fungiert als Gegenpol zur idealistischen Crew der Human Frontier. Er ist pragmatisch, kontrolliert und verfolgt Machtinteressen, die ihn zunehmend zu einem antagonistischen Element der Serie machen. Weitere Figuren wie Pilot Robert Harrigan (Mark Elstob) oder der mysteriöse Hans Dendrick (Nicholas Briggs selbst) erweitern das Ensemble und sorgen für zahlreiche Spannungsfelder.
Zusammenfassungen der vier Teile
The Possibility of Life
Die Serie beginnt mit der Rückkehr ins Bewusstsein zweier Mitglieder der Human Frontier-Crew nach über 1.000 Jahren im Kälteschlaf. Die Lage ist kritisch, das Schiff schwer beschädigt, die Orientierung verloren. Kommandantin Daisy Bailey und Exographin Anna Swift versuchen, die Lage zu retten. Währenddessen entwickelt sich zwischen den beiden eine leise, emotionale Verbindung. Sie ahnen noch nicht, dass sie nicht allein sind. Bereits auf dem Planeten ND492 lebt eine menschliche Kolonie, die ihre eigenen Normen und Systeme entwickelt hat.
Nowhere Near Neptune
Die Crew trifft auf die Nachfahren der Überlicht-Kolonisten, die sich als hochentwickelte, technologisch dominierte Gesellschaft präsentiert. Der Planet ND492 wird von einer Gruppe namens Triton kontrolliert – benannt nach dem politischen Führer Brett Triton. Die Neuankömmlinge werden argwöhnisch betrachtet. Während Anna Swift versucht, Brücken zu bauen, wird deutlich, wie groß die Unterschiede zwischen den beiden Menschheitsgruppen sind. Gegenseitiges Misstrauen bestimmt das Bild, und erste politische Intrigen werden gesponnen.
Machine Minds
Im Zentrum dieser Folge steht die Rolle der KI Nilly. Während Anna sich mit ihr anfreundet und ihre zunehmende Autonomie begrüßt, erkennen andere in ihr eine Gefahr. Gleichzeitig spitzt sich der Machtkampf zwischen der Kolonie und der Human Frontier-Crew zu. Hans Dendrick tritt als undurchsichtiger Strippenzieher in den Vordergrund. Der Titel der Folge spielt auf die Frage an, inwieweit künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein besitzen können – und ob sie daher auch moralische Verantwortung tragen sollten.
Control
Die letzte Folge der Staffel bringt alle Konflikte zum Höhepunkt: Der politische Druck auf die Neuankömmlinge wächst, und Daisy Bailey steht vor der Entscheidung, ob sie sich anpassen oder ihre ursprünglichen Prinzipien verteidigen will. Auch Nilly muss eine Entscheidung treffen, die weitreichende Konsequenzen für beide Gesellschaften hat. Am Ende der Folge ist klar: Eine Rückkehr zur ursprünglichen Vision der Menschheit ist nicht möglich. Stattdessen beginnt etwas völlig Neues – offen, fragil und ungewiss.
Klanggestaltung auf höchstem Niveau
Wie von Big Finish zu erwarten, ist die akustische Inszenierung makellos. Die Soundeffekte, das atmosphärische Design und die subtile Musikuntermalung sorgen für ein immersives Hörerlebnis. Das Raumschiff wirkt durch Hall und maschinelle Geräusche beklemmend realistisch, der Planet ND492 hingegen ist akustisch offener, aber nicht weniger bedrohlich. Besonders auffällig ist der bewusste Einsatz von Stille – Momente der Reflexion werden durch akustische Leere betont, was der Handlung zusätzliche Tiefe verleiht.
Thematische Tiefe ohne didaktische Schwere
The Human Frontier ist ein Paradebeispiel dafür, wie man Science-Fiction nutzen kann, um existenzielle Fragen zu behandeln, ohne in übermäßige Belehrung zu verfallen. Die Serie spricht Themen wie Transhumanismus, politische Manipulation, Technologieabhängigkeit und persönliche Verantwortung an, ohne ihre Figuren zu bloßen Sprachrohren für Ideen zu degradieren. Stattdessen erleben wir die inneren Kämpfe dieser Menschen – und Maschinen – hautnah mit.
Verfügbarkeit und Rezeption
The Human Frontier ist exklusiv bei Big Finish als Download erhältlich. Die erste Staffel erschien im Mai 2020 und entwickelte sich rasch zu einem der meistgelobten Originalformate des Labels. Insbesondere das ausgefeilte Skript, die vielschichtige Figurenzeichnung und die exzellente Klangregie wurden von Kritik und Hörerschaft gleichermaßen hervorgehoben.
Eine Fortsetzung ist aktuell für Juli 2026 geplant. Dabei kehren Pepter Lunkuse als Exographin Anna Swift, Genevieve Gaunt als Kommandantin Daisy Bailey und Lucy Briggs-Owen als KI Nilly in ihre Rollen zurück. Die Ankündigung wurde von Fans mit großer Vorfreude aufgenommen – nicht zuletzt, weil viele The Human Frontier als eines der stärksten und originellsten Hörspiele im Big Finish Originals-Programm betrachten.
Fazit
The Human Frontier ist ein Hörspiel, das weit über die Grenzen einfacher Science-Fiction hinausgeht. Es bietet nicht nur spannende Handlung und starke Charaktere, sondern stellt die Frage nach dem, was den Menschen im Kern ausmacht – besonders dann, wenn er mit fremd gewordenen Versionen seiner selbst konfrontiert wird. Wer auf der Suche nach intelligenter, atmosphärisch dichter und emotional berührender Science-Fiction ist, sollte sich diese Serie nicht entgehen lassen.
The Human Frontier
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- Label / Verlag: Big Finish Productions
- Veröffentlicht:
- Genre: Science-Fiction
- Herkunft: Großbritannien
Produktion
- Autor: Nicholas Briggs
- Regie: Nicholas Briggs
- Senior Producer: David Richardson
- Produzentin: Emma Haigh
- Executive Producer: Jason Haigh-Ellery, Nicholas Briggs
- Musik: Nicholas Briggs
- Sounddesign: Iain Meadows
- Redaktion: Scott Handcock
- Coverzeichnung: Mark Plastow
Sprecher
- Exographer Anna Swift – Pepter Lunkuse
- Commander Daisy Bailey – Genevieve Gaunt
- Nilly – Lucy Briggs-Owen
- Brett Triton – Clive Wood
- Hans Dendrick – Nicholas Briggs
- Robert Harrigan / Malden Grey / Oliver – Mark Elstob