
Eine Reise in das dunkle Herz der Weimarer Republik
Babelsberg Babylon ist ein fünfteiliges BBC-Hörspiel, das im Jahr 2020 auf Radio 4 erstmals ausgestrahlt wurde. Es versetzt die Hörer:innen in das Jahr 1929, in die Glanz- und Schattenwelt der Babelsberger Filmstudios bei Berlin – einem der ältesten und bedeutendsten Filmproduktionsstandorte Europas. Das Hörspiel entfaltet eine dichte Atmosphäre, die gleichermaßen von Glamour, politischer Instabilität, künstlerischer Avantgarde und menschlichen Abgründen geprägt ist.
Was auf den ersten Blick wie eine klassische Kriminalgeschichte beginnt – das mysteriöse Verschwinden einer Schauspielerin – entwickelt sich rasch zu einem packenden Drama über Macht, Obsession, Verrat und die Zerbrechlichkeit der Freiheit am Vorabend des Nationalsozialismus.
Die Ausgangslage: Der Schein trügt
Im Zentrum der Geschichte stehen der Drehbuchautor Jonas Beck und der Studioboss Otto Lenz. Während in den Babelsberger Studios fieberhaft an einem neuen Filmprojekt gearbeitet wird, verschwindet die gefeierte Schauspielerin Krista Wolff spurlos. Was zunächst als zufälliges oder vielleicht sogar freiwilliges Verschwinden erscheint, entpuppt sich schnell als etwas weitaus Bedrohlicheres.
Lenz, eine schillernde Figur mit Verbindungen in hohe politische und wirtschaftliche Kreise, setzt alles daran, das Image des Studios und damit auch seine eigene Macht zu bewahren. Jonas Beck hingegen ist ein Idealist – ein Schriftsteller, der sich für die Wahrheit und Integrität des Films einsetzt. Doch auch er ist nicht frei von inneren Konflikten und Geheimnissen.
Figuren im Scheinwerferlicht
Jonas Beck – Der Idealist in der Zwickmühle
Jonas Beck, sensibel gespielt von Paul Chahidi, ist ein Mann, der zwischen den Fronten steht. Er ist nicht nur Kristas enger Freund, sondern auch ein künstlerischer Freigeist, der den Film als Kunstform begreift – nicht als Propagandainstrument oder reines Geschäft. Seine Suche nach Krista wird für ihn schnell zu einer Reise in das eigene moralische Zentrum: Wie weit ist er bereit zu gehen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen?
Otto Lenz – Der Patriarch
Otto Lenz, verkörpert von Anton Lesser, ist der klassische Tycoon – charmant, gebildet, aber auch rücksichtslos und gefährlich. Für ihn ist das Kino nicht nur eine Bühne für Illusionen, sondern ein Mittel zur Machterweiterung. Sein Verhältnis zu Krista bleibt undurchsichtig: Ist er ein Förderer, ein Liebhaber – oder etwas noch Dunkleres?
Krista Wolff – Das Phantom der Leinwand
Krista Wolff ist mehr als nur eine Filmdiva. Sie symbolisiert die Sehnsüchte und Widersprüche der Weimarer Zeit: Weibliche Selbstbestimmung, sexuelle Freiheit, aber auch die Gefahr der Objektifizierung. Obwohl sie physisch abwesend bleibt, ist sie emotional und symbolisch in jeder Szene präsent.
Historischer Kontext und Atmosphäre
Einer der großen Stärken von Babelsberg Babylon ist sein intensives historisches Flair. Die Serie transportiert die Hörer:innen in eine Zeit des Umbruchs: 1929 ist das Jahr der Weltwirtschaftskrise, der politischen Radikalisierung und der letzten Blüte der künstlerischen Moderne. Berlin ist ein kulturelles Epizentrum, wo jüdische Intellektuelle, queere Künstler:innen, Sozialisten und Kapitalisten in einer explosiven Mischung aufeinandertreffen.
Die Studios von Babelsberg sind dabei ein Mikrokosmos dieser Welt – ein Ort, an dem Magie erzeugt wird, aber auch Abgründe lauern. In dieser Mischung aus Opulenz und Verfall entfaltet sich die Handlung des Hörspiels wie ein Film noir der deutschen Geschichte.
Themen und Motive
Wahrheit und Fiktion
Babelsberg Babylon spielt auf raffinierte Weise mit dem Verhältnis zwischen Realität und Illusion. Die Studios sind eine Welt, in der nichts so ist, wie es scheint. Diese Metapher durchzieht die gesamte Handlung: Wer spricht die Wahrheit? Was ist gespielt? Was ist Propaganda?
Macht und Kontrolle
Lenz steht sinnbildlich für die konservativen Kräfte, die im Begriff sind, die fragile Demokratie zu zerstören. Seine Art, Menschen zu manipulieren, erinnert fatal an kommende Diktaturen. Der Film wird zum Werkzeug der Kontrolle – ein Thema, das sich in vielen Diktaturen des 20. Jahrhunderts bewahrheitet hat.
Weibliche Emanzipation
Krista Wolff ist nicht einfach ein Opfer. Sie ist eine Frau, die ihren eigenen Weg gehen will – in einer Zeit, in der weibliche Selbstbestimmung oft mit Verachtung gestraft wurde. Ihr Verschwinden ist kein passiver Akt, sondern auch eine Form des Widerstands.
Inszenierung und Klangwelt
Die Produktion von Babelsberg Babylon ist meisterhaft. Die BBC setzt auf ein starkes Ensemble, stimmungsvolle Musik von Nick Perry und ein Sounddesign, das mit cineastischer Tiefe aufwartet. Straßenlärm, knarrende Dielen, das Echo leerer Studios – all das wird akustisch so lebendig inszeniert, dass man das Gefühl hat, selbst durch die Korridore von Babelsberg zu schleichen.
Ein besonderes Highlight ist die Musik: Die Mischung aus Stummfilmklängen, Weimarer Kabarett und düsteren Kompositionen unterstreicht die emotionale und historische Tiefe des Hörspiels.
Rezeption und Bedeutung
Babelsberg Babylon wurde nach der Ausstrahlung von Kritikern gelobt – sowohl für seine raffinierte Handlung als auch für seine historische Tiefe. Besonders hervorgehoben wurden:
- Die glaubwürdige und komplexe Figurenzeichnung
- Die gelungene Mischung aus Spannung und Zeitgeschichte
- Die nuancierte Darstellung von Machtverhältnissen im aufziehenden Schatten des Faschismus
Es ist kein Zufall, dass dieses Hörspiel in einer Zeit produziert wurde, in der viele Länder wieder über den Umgang mit Populismus, Wahrheit und Medien diskutieren. Die Parallelen zur Gegenwart sind unüberhörbar.
Eine akustische Zeitreise in die Seele einer Epoche
Mit Babelsberg Babylon ist der BBC ein fesselndes Kunstwerk gelungen – ein Thriller mit Tiefgang, der weit mehr ist als bloße Unterhaltung. Es ist eine Geschichte über das Kino, über das Menschsein in Zeiten des Umbruchs, über die Kraft – und Gefahr – von Geschichten.
Wer sich für die Weimarer Republik, Filmgeschichte oder gut erzählte, anspruchsvolle Hörspiele interessiert, sollte sich diese Serie nicht entgehen lassen. Sie ist spannend, klug, atmosphärisch und bewegend – und erinnert daran, wie fragil Freiheit und Kunst sein können, wenn dunkle Zeiten anbrechen.
Babelsberg Babylon
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Produktion
- Regie: Sasha Yevtushenko
Sprecher
- Jonas Beck – Paul Chahidi
- Otto Lenz – Anton Lesser
- Lottie – Clare Corbett
- Peter X – Carl Prekopp
- Krista – Cassie Layton